Die Nachricht, dass die Firma ECONCEPT, Bauherr des „Palais KolleBelle“, auch den Rest des Areals Kollwitz-, Belforter, Straßburger Straße erworben hat und dort nicht nur weitere Wohnpaläste errichten, sondern auch modernisierten, preiswerten Wohnraum abreißen will, hat bei den Politikern im Bezirk vor allem eines ausgelöst: Unsicherheit. Man weiß offenbar nicht so recht, wie man der Situation begegnen soll. Das hatte bei der letzten Tagung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor der Sommerpause tumultartige Szenen zur Folge.
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Burkhard Kleinert, Vorsteher der BVV von Pankow, gab das Ergebnis der Abstimmung bekannt: „Dreiundzwanzig ‚Ja’-Stimmen, zweiundzwanzig ‚Nein’-Stimmen. Damit wird die Drucksache an den entsprechenden Ausschuss überwiesen.“
Kleinert hatte den Satz noch nicht ganz beendet, da brach ein Tumult bei den vermeintlich unterlegenen Abgeordneten aus: „Kann nicht sein!“ „Geht gar nicht!“ „Wiederholen!“
Bei der Wiederholung der Abstimmung zählten Kleinerts Büroleiterin und ihre Mitarbeiterinnen zur Sicherheit noch einmal nach. Das Ergebnis diesmal: „Vierundzwanzig ‚Ja’-Stimmen, vierundzwanzig ‚Nein’-Stimmen. Damit hat der Antrag zur Überweisung an den Ausschuss nicht die notwendige Mehrheit erreicht.“
Tumult nun auf der anderen Seite.
Wolfram Kempe, Bezirksverordneter der Linken, den Lärm noch übertönend: „Die Linksfraktion beantragt eine namentliche Abstimmung!“
Und während bereits die Stimmkarten an die Abgeordneten ausgeteilt wurden, verkündete Vorsteher Kleinert plötzlich: „Laut Geschäftsordnung ist bei Anträgen zur Überweisung an die Ausschüsse eine namentliche Abstimmung nicht zulässig.“
Eine nochmals wiederholte einfache Abstimmung beruhigte die Gemüter nicht wirklich – auch wenn das Ergebnis von 24 zu 24 nun bestätigt wurde.
Anlass für das Hin und Her war ein Antrag der Grünen, den Bebauungsplan für die Grundstücke Belforter Straße 5–8, Straßburger Straße 33–36 und Metzer Straße 35–37 aus „ökologischen und stadtklimatischen Gründen“ so zu verändern, dass „in den Bereichen zwischen den Wohnblöcken die Errichtung einer Tiefgarage ausgeschlossen ist. Zur Straßburger Straße ist die im B-Plan-Entwurf vorgesehene Blockrandschließung nicht in der gesamten Straßenfront durchzuziehen, sondern im Bereich der grünen Höfe zu unterbrechen…“
Der Antrag, der als Dringlichkeitsantrag bereits einen Monat zuvor schon einmal gescheitert war, richtete sich gegen das Vorhaben von ECONCEPT, dem Bauherren des „Palais
KolleBelle“ und neuen Eigentümer des KolleBelle-„Hinterlandes“ im Karree Belforter, Straßburger, Metzer Straße, für das ECONCEPT nun Teilabriss, Blockrandbebauung und Tiefgaragenbau angekündigt hatte.
Der grüne Vorstoß fand bei den anderen Fraktionen keine Gegenliebe. Thomas Goetzke, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, nannte den Antrag „übereilt“, es sei „keine Gefahr im Verzug“, die Grünen wollten am Planverfahren und somit auch an der Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger vorbei Tatsachen schaffen.
Thomas Goetzke beantragte eine Überweisung des Antrages zur weiteren Beratung an den entsprechenden Fachausschuss. Johannes Kraft, CDU-Fraktionchef, schloss sich der Kritik der Linksfraktion an.
Er warnte zudem vor möglichen Regressforderungen seitens des Investors, wenn das vorgeschriebene Planungsverfahren nicht eingehalten werde.
Es folgte das beschriebene Abstimmungschaos.
Dass es der Antrag es schließlich nicht einmal mehr in die Ausschüsse schaffte, lag letztlich an den Grünen selbst.
Eine Überweisung an die Fachausschuss lehnten sie ab, sie wollten eine sofortige Zustimmung. Die aber wurde von der BVV-Mehrheit nicht erteilt.
Der Antrag der SPD zum selben Thema setzte vor allem auf Mieterschutz. Doch auch hier waren sich Linke und CDU einig in der Ablehnung – aus denselben Gründen wie zuvor.
Immerhin fiel dieser Antrag im Gegensatz zu seinem grünen Pendant nicht völlig durch und wurde zur Beratung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung verwiesen. Dort wird er am 26. August auf der Tagesordnung stehen.
Die Auseiandersetzungen zeigen vor allem eines: Eine tiefsitzende Verunsicherung auf allen Seiten. Denn wenn Baustadtrat Michael Nelken (Linke) jüngst auch erklärte, er mache dem Investor wenig Hoffnung auf einen extrem zügigen Baubescheid und rechne nach dem neuen Bebauungsplan mit umfassenden Änderungen, so war ein paar Tage zuvor von ihm schon einmal deutlich realistischer zu vernehmen: „… wir haben keine rechtlichen Instrumente, den Abriss von Wohnungen auszuschließen“.
Jetzt gibt es diese Möglichkeit wohl tatsächlich nicht mehr – in der Vergangenheit hatte Nelken allerdings ausreichend Gelegenheit gehabt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Spätestens zur Aufhebung der Sanierungssatzung Ende 2008 hätte seine Behörde den Bebauungsplan so konkret fassen müssen, dass Abriss und Neubebauung nicht mehr möglich gewesen wären.
Doch die Einstufung „Flächensicherung und Neuordnung“ (siehe Grafik oben) ist geradezu eine Einladung zur „Aufwertung“ des Areals.
Nach dem wirtschaftlichen Erfolg von „KolleBelle“ war es nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann hier ein Investor zuschlagen würde.
Nachdem ECONCEPT das Areal nun gekauft hat, ist eine Umwidmung der Fläche und damit ein wirksamer Schutz der alteingesessenen Bewohner kaum noch möglich: Der Bezirkspolitik bleibt nicht viel mehr, als beim Investor um gut Wetter zu bitten. Daran werden auch künftige Rede- und Abstimmungsschlachten in der BVV nichts mehr ändern.
Baustadtrat Nelken aber wird noch erklären müssen, warum er und seine Behörde nicht schon zu jener Zeit tätig wurden, als ein Schutz des Bauensembles und seiner Mieter noch relativ problemlos möglich war.
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Platz für Paläste
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helmholtzplatz.de
Jul 29. 2010
[http://www.stefan-liebich.de/article/1926.bauvorhaben-belforter-strasse-prenzlauer-berg-ueberfluessiges-und-ausschliesslich-dem-finanziellen-verwertungsinteresse-dienendes-projekt.html]
7.7.2010
An die Anwohnerinnen und Anwohner der Belforter-, Straßburger-, Metzer Straße und der angrenzenden Straßen
Sehr geehrte Anwohnerinnen und Anwohner,
Mieterinnen und Mieter aus Ihrem Wohngebiet haben mich darüber informiert, dass es Bestrebungen eines Immobilienentwicklers gibt, umfangreiche Umbau-, Neubau- und Modernisierungsvorhaben auf dem Grundstück zwischen Belforter-, Straßburger- und Metzer Straße durchzuführen. Ich wurde gebeten, Sie dabei zu unterstützen, dieses überflüssige und ausschließlich dem finanziellen Verwertungsinteresse dienende Bauvorhaben zu verhindern.
Besonders im südlichen Prenzlauer Berg ist es in den vergangenen Jahren durch „Gentrifizierungsprozesse“ zu einer Verdrängung vieler Mieterinnen und Mieter gekommen, die sich nach Modernisierung oder Sanierung ihre Wohnungen nicht mehr leisten konnten. In letzter Zeit ist eine Tendenz zu erkennen, nicht mehr nur vorhandene Altbauten zu sanieren, sondern Neubauten zu errichten. Dies bedeutet nicht nur eine weitere Verdichtung der Innenstadt und die Verteuerung der Wohngegend, sondern auch den Wegfall von Frei- und Grünflächen.
In der Wohnanlage Belforter-, Straßburger- und Metzer Straße besteht aus Mietersicht kein Anlass für Um- bzw. Neubauten oder Modernisierungen. Der Wohnungsbestand hat eine gute Qualität, ist mit Heizungen ausgestattet, bietet viel Grünflächen bei vergleichsweise moderaten Mieten. Aus genau diesen Gründen sollte auch ein Immobilienentwickler keinen Grund haben, unnötige Veränderungen vorzunehmen – außer für ihn steht Gewinnmaximierung auf Kosten insbesondere der vorhandenen Mieterinnen und Mieter im Vordergrund. Artikel 2 unseres Grundgesetzes besagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Es ist notwendig, dass dieser Satz wieder mehr ins Bewusstsein dringt.
Als ein sehr ermutigendes Signal empfinde ich es, dass Sie bereits erfolgreich gut besuchte Mieterversammlungen durchgeführt haben und auch „nur“ indirekt betroffenene Anwohnerinnen und Anwohner angrenzender Straßen sich um die weitere Entwicklung ihres Kiezes Sorgen machen. Um einebessere Chance zu haben, in den beginnenden Auseinandersetzungen etwas erreichen zu können, wünsche ich Ihnen, dass Sie auch in Zukunft als Mieterschaft gemeinsam agieren und sich nicht auseinander divergieren lassen. Seien Sie sich meiner öffentlichen Unterstützung für Ihr Anliegen sicher.
Gerne nehme ich Ihre Einladung für ein Gespräch mit Ihnen, der Mieterinnen- und Mieterinitiative, an.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Liebich